Thomas Hieke, «Das Alte Testament und die Todesstrafe», Vol. 85 (2004) 349-374
Rather than understanding the Old Testament sanction
tmwy twm ("he shall surely be put to death") as a
death penalty edict, one should see it as a parenetic warning. Comparing the
verses which contain mot yumat with the few references to death sentences
and executions, it is to be doubted whether this condemnation was indeed
applicable. The ‘death edicts’ are therefore not ‘law,’ but divine dicta
functioning as deterrents. They formulate things that should not happen under
any circumstances. Hence, they underscore the most important ethical and cultic
maxims.
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(2) Auf der Suche nach möglichen Ausführungsbestimmungen
stößt man auf die Grundsatzregelung von Dtn 19,15, dass für eine
Entscheidung bei jeglichem Vergehen mindestens zwei oder drei
Zeugen aussagen müssen. Da mitunter der Ankläger auch als Zeuge
gelten kann, ist somit mindestens eine weitere Person, die das
Vergehen bezeugt, heranzuziehen. Diese Bestimmung wird im Blick
auf das Todesrecht eigens eingeschärft: Num 35,30 betont für den Fall
des Totschlags, dass der Täter nicht getötet werden darf, wenn nur eine
einzige Zeugenaussage vorliegt. Dtn 17,6 steht im Kontext der
Bestimmungen für den Abfall von Gott und die Verehrung von
Gestirngöttern und verallgemeinert den Grundsatz: «Wenn es um
Leben oder Tod eines Angeklagten geht, darf er nur auf die Aussage
von zwei oder drei Zeugen hin zum Tod verurteilt werden. Auf die
Aussage eines einzigen Zeugen hin darf er nicht zum Tod verurteilt
werden».
Dieses Prinzip dürfte die möglichen Fälle stark reduzieren, wenn
man bedenkt, welche der genannten Tatbestände derart öffentlich
stattfinden, dass mindestens zwei oder drei Augenzeugen für einen
Todesrechtsprozess zur Verfügung stehen (49). Ein direkter Wider-
spruch ergibt sich zu Dtn 22,25-27: Bei einer Vergewaltigung «auf
freiem Feld» soll nur der Vergewaltiger sterben, nicht aber die
Vergewaltigte, da sie vergeblich um Hilfe geschrieen haben könnte.
Wenn eine solche Situation eines “zeugenfreien Raums†(“freies
Feldâ€) unterstellt wird, ist zu fragen, woher hier noch Zeugen
kommen sollen, wie also ein Todesrechtsprozess gegen den Verge-
waltiger erfolgen kann.
(3) Weiter werden die Zweifel an einem Todesstrafrecht im Alten
Testament dadurch genährt, dass nicht klar ist, wer genau zu Gericht
sitzt sowie wer die Hinrichtung wie ausführt. Dtn 17,7 nimmt im Falle
einer Steinigung die Zeugen als Erste in die Pflicht (vgl. Dtn 13,10),
dann erst «das ganze Volk» (50). Aus dieser idealistischen Sicht wird
deutlich, dass keine eigenen Gerichte und Institutionen für ein
Todesstrafrecht vorgesehen sind. Dtn 21,18-21 (der widerspenstige
Sohn) erwähnt als Gerichtsinstanz «die Ältesten der Stadt und die
Torversammlung des Ortes», als Hinrichtende «alle Männer der Stadt»
(49) Vgl. G. STASSEN, “Biblical Teaching on Capital Punishmentâ€, RevExp 93
(1996) 485-496, hier: 486-487; SEEBASS, “Sklavenrechtâ€, 184.
(50) «Das ganze Volk» oder «die Gemeinde» (hd[) sind idealtypische Größen
auf literarischer Ebene, keine konkreten Gerichtsinstanzen. Vgl. u.a. MERZ,
Blutrache, 134-135.