Thomas Hieke, «Das Alte Testament und die Todesstrafe», Vol. 85 (2004) 349-374
Rather than understanding the Old Testament sanction
tmwy twm ("he shall surely be put to death") as a
death penalty edict, one should see it as a parenetic warning. Comparing the
verses which contain mot yumat with the few references to death sentences
and executions, it is to be doubted whether this condemnation was indeed
applicable. The ‘death edicts’ are therefore not ‘law,’ but divine dicta
functioning as deterrents. They formulate things that should not happen under
any circumstances. Hence, they underscore the most important ethical and cultic
maxims.
Das Alte Testament und die Todesstrafe 371
(5) Gerade auch die Zusammenstellung der sanktionierten
Tatbestände lassen Zweifel an der Praktikabilität eines derartigen
“Todesrechts†aufkommen. Es ist nicht einzusehen, dass gerade diese
Vergehen derart massiv unter “Strafe†gestellt werden, während eine
Reihe anderer Taten, die z.T. im unmittelbaren Kontext genannt
werden, andere Konsequenzen nach sich ziehen, die nicht immer
juristische “Rechtsfolgen†sind. Die Frage der Angemessenheit wird
weder gestellt noch diskutiert. Ein auffälliger Aspekt ist in diesem
Zusammenhang, dass im Heiligkeitsgesetz nicht alle Prohibitive von
Lev 18 in Lev 20 sanktioniert werden (77). Es fehlen folgende Verbote:
der Sexualverkehr mit der leiblichen Mutter (18,7), der Enkelinnen-
Inzest (18,10), der Stiefschwestern-Inzest (18,11) sowie die Polygynie
mit einer Frau und deren Schwester zugleich (18,18). Diese
Tatbestände werden mit keiner Sanktion versehen (78). Dieses Fehlen
stellt die Annahme eines umfassenden “Todesrechts†im
strafrechtlich-juristischen Sinne, das so in der Praxis durchgeführt
wurde, wie es in den Texten steht, sehr in Frage. Insgesamt ist zu den
Bestimmungen von Lev 20 Folgendes festzuhalten: “Der Hintergrund,
auf dem hier geredet wird, sind eindeutig die dem Heiligkeitsgesetz
zugrundeliegenden Vorstellungen von heilig und profan, rein und
unrein, wodurch zugleich eine unmittelbare und direkte Umsetzung in
gerichtswirksame Praxis ausgeschlossen ist†(79).
(6) Ein weiteres Hindernis für die praktische Durchführung gerade
der mot-Sätze ist deren deklarative Formulierung. Sie verknüpfen
Tatbestände mit der Todessphäre, aber sie verzichten durch diese
knappe und gedrängte Form auf jegliche Details und Konkretionen
——————
der Ehemann ein Dispositionsrecht (in der Bibel wie in der Keilschriftliteratur)
und konnte die Scheidung aussprechen (vgl. z.B. Jer 3,1-11). — Auch in der
Weisheitsliteratur wird Ehebruch stark geächtet, aber nicht mit der Todesstrafe
versehen: In Spr 6,27-35 ist von Schlägen und Schande die Rede, und es wird
vorausgesetzt, dass eine finanzielle Ausgleichszahlung üblich war, vgl. LEMAIRE,
“Système pénalâ€, 119; H. MCKEATING, “Adulteryâ€, 58-59.
(77) Den literarischen Bezug von Lev 20,2ab-27 auf Lev 18,2b-30 (und 19,2a-
37) weist RUWE, Heiligkeitsgesetz, 225-226, plausibel nach.
(78) Die Erklärungen von RUWE, Heiligkeitsgesetz, 226, befriedigen nicht:
Warum soll Lev 18,7 (Mutter) “nur die Funktion einer Prinzipienformulierungâ€
haben? Müsste nicht gerade eine solche “Ungeheuerlichkeit†unter der
“Todesstrafe†stehen? Und warum sollten die anderen Inzest- und Polygynie-
Tatbestände, nur weil sie “offenbar häufiger†vorkommen, “nicht strafrechtlich
reglementiert, sondern lediglich verboten werden� Mit einer für ein Kapital-
strafrecht unumgänglichen “Rechtssicherheit†hat das nichts zu tun.
(79) CRÜSEMANN, Tora, 303-304.