Thomas Hieke, «Das Alte Testament und die Todesstrafe», Vol. 85 (2004) 349-374
Rather than understanding the Old Testament sanction
tmwy twm ("he shall surely be put to death") as a
death penalty edict, one should see it as a parenetic warning. Comparing the
verses which contain mot yumat with the few references to death sentences
and executions, it is to be doubted whether this condemnation was indeed
applicable. The ‘death edicts’ are therefore not ‘law,’ but divine dicta
functioning as deterrents. They formulate things that should not happen under
any circumstances. Hence, they underscore the most important ethical and cultic
maxims.
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hinsichtlich der Ausführung. Es besteht offensichtlich kein Interesse
an einer systematischen “Todesstrafprozessordnungâ€. Zudem
erscheint die Formulierung mit dem Infinitivus absolutus als
Verstärkung sehr eindringlich: Für eine Rechtsbestimmung ist der
rhetorische Aufwand zu hoch, die einfache Wendung «er soll/sie
sollen sterben» (vgl. z.B. Dtn 22,22.24.25) würde genügen (80). Gerade
die “deklarative†formale Gestalt legt die Spur, wer eigentlich hinter
dieser angeblichen “Strafe†steht. Sowohl die feierliche Formulierung
als auch die angeführten Sachverhalte deuten darauf hin, dass es um
Angelegenheiten geht, die die Kapazität und die Zuständigkeit
menschlicher Gerichte übersteigen: Das Schwergewicht liegt auf dem
sexuellen Bereich, wo es selten Zeugen gibt, auf der Unantastbarkeit
der Person, auf der Autorität der Eltern (81), auf der Ehrfurcht
gegenüber Gott, dem Einen, Heiligen — all das sind keine im strengen
Sinn justiziablen Fälle, sondern Grundlagen des Glaubens und der
sozialen Ordnung einer Gemeinschaft. Sie erfahren daher einen
besonderen Schutz durch eine — vermutlich göttliche — Sanktio-
nierung (82). Das Passiv in den mot-Sätzen ließe sich auch als passivum
divinum interpretieren. Folgende biblische Texte weisen ebenfalls in
diese Richtung: (a) Die Todesdrohung Gottes in Gen 2,17 wird nicht
ausgeführt. Obwohl die Menschen vom Baum der Erkenntnis von Gut
und Böse essen, werden sie nicht getötet, vielmehr werden eine Reihe
anderer Strafen ausgesprochen, und Gott bewahrt die Menschen sogar
durch seine Fürsorge hinsichtlich der Kleidung (3,21). Das zeigt, wie
die göttliche Todesdrohung gedacht ist: nicht als gesetzliche Sanktion,
die einen Gerichtsprozess erfordern würde, sondern als eine Warnung,
die auf die furchtbaren Folgen des Verstoßes gegen das göttliche
Gebot aufmerksam macht. Insofern liegt hier ein Paradigma am
Anfang der Tora vor, wie ernst die Menschen diese folgende göttliche
Weisung (Tora) nehmen sollen. (b) Göttliche Gebote dienen dazu, eine
gegebene Ordnung zu schützen und Leben zu ermöglichen — von den
ersten Kapiteln des Buches Genesis an ist das ein roter Faden in der
(80) Vgl. GERSTENBERGER, “Apodiktisches Recht?â€, 18.
(81) Bei Ex 21,15.17 handelt es sich um eine Warnung aus weisheitlicher
Tradition an die erwachsen gewordenen Kinder, ihre physische und psychische
Überlegenheit gegenüber den Eltern nicht zu missbrauchen. “Ein solches
Verhalten wird als ein ‚todeswürdiges’ Verhalten (tmwy twm) deklariert, was aber
nicht im Sinne einer gesetzlichen Ausführung als Todesstrafe verstanden werden
mußâ€, so SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Bundesbuch, 220.
(82) Vgl. zum Folgenden GERSTENBERGER, “Divine Threatsâ€, 46-47.