Burkard Zapff, «Sir 38,1-15 als Beispiel der Verknüpfung von Tradition und Innovation bei Jesus Sirach.», Vol. 92 (2011) 347-367
Si 38,1-15 illustrates how Sirach understands the initially disputed institution of the Hellenistic physician. Against the background of traditional Old Testament beliefs and some Stoic concepts of world order, medicine is seen as part of God’s work of salvation. Rejecting it would even amount to a sin. The Hebrew text of Sirach is astonishingly universalistic. There, the physician’s work is similar to that of Moses, and the physician’s prayer, either Hebrew of Hellenistic, is addressed to the one God. By contrast, the Greek text is more traditional, and presents a more negative view of the physician.
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Sir 38,1-15 als Beispiel der Verknüpfung von Tradition
und Innovation bei Jesus Sirach
Mit Jesus Sirach, der ja nicht mehr zum Kanon der Hebräischen
Bibel zählt, betreten wir ein Feld, auf dem man in besonderer Weise die
Auseinandersetzung des frühen Judentums mit der neuen Geistesströ-
mung des Hellenismus beobachten kann. Dabei wurde diesem Werk,
vor allem seiner theologischen Relevanz über lange Zeit hinweg —
wie ich meine: unverdientermaßen — nur recht wenig Interesse zuteil.
Dies hat sich in den vergangenen zehn Jahren grundlegend geändert.
Nach dem 1987 von Skehan und Di Lella veröffentlichten Kommentar
zur Weisheit des Ben Sira sind inzwischen im deutschsprachigen Raum
in relativ dichter Folge drei Kommentare zum Sirachbuch erschienen
bzw. im Erscheinen begriffen 1.
Das neu erwachte Interesse am Sirachbuch zeigt sich auch an-
hand einer Reihe von in jüngerer Zeit veröffentlichten Monogra-
phien und Sammelbänden, die sich zentralen Themen des Buches,
insbesondere vor dem Hintergrund zeitgenössischer hellenistischer
Geistesströmungen widmen 2. In all diesen Werken wird eindringlich
vor Augen geführt, dass man dem Buch Sirach nur dann gerecht
wird, wenn man es vor dem Hintergrund des Anfang des 2. Jahrhun-
1
P.W. SKEHAN-A.A. DI LELLA, The Wisdom of Ben Sira (AB 39; New York
1987); G. SAUER, Jesus Sirach/Ben Sira (ATD Apokryphen I; Göttingen 2000);
J. SCHREINER, Jesus Sirach 1-24 (NEB; Würzburg 2002); B.M. ZAPFF, Jesus
Sirach 25-51 (NEB; Würzburg 2010); J. MARBÖCK, Jesus Sirach 1-23 (HBK;
Freiburg 2010).
2
Zum Thema vgl. besonders M. HENGEL, Judentum und Hellenismus
(WUNT 10; Tübingen 31988); TH. MIDDENDORP, Die Stellung Jesu Ben Siras
zwischen Judentum und Hellenismus (Leiden 1973); H.-V. KIEWELER, Ben Sira
zwischen Judentum und Hellenismus. Eine kritische Auseinandersetzung mit
Th. Middendorp (Wien 1992); aus neuerer Zeit sind hier zu nennen: O. KAISER,
Zwischen Athen und Jerusalem (BZAW 244; Berlin 2003); O. KAISER, Des
Menschen Glück und Gottes Gerechtigkeit. Studien zur biblischen Überliefe-
rung im Kontext hellenistischer Philosophie (Tübingen 2007); F. UEBER-
SCHAER, Weisheit in der Begegnung. Bildung nach dem Buch Jesus Sirach
(BZAW 379; Berlin 2007); U. WICKE-REUTER, Göttliche Providenz und
menschliche Verantwortung bei Ben Sira und in der Frühen Stoa (BZAW 298;
Berlin 2000).