Peter Wick, «Jesus gegen Dionysos? Ein Beitrag zur Kontextualisierung des Johannesevangeliums», Vol. 85 (2004) 179-198
The author of the article intends to show, that not just the episode of the "miracle at Cana" (John 2,1-11), but the gospel of John as a whole disputes in an implicit way the worship of Dionysos, which was wide-spread in Syria and Palestine. Jesus is presented as the true son of god, who surpasses the god Dionysos in every way. John represents the old Jewish tradition of disputing the worship of Dionysos. This dispute implies the rejection as well as the surpassing adoption of Dionysian elements. The author of the gospel strengthens the identity of his communities, which are confronted by the Hellenistic world, by arguing as a scripture-rooted Jew within the symbolic world of the Hellenistic mainstream.
Jesus gegen Dionysos? 195
Die komplizierte und komplexe Nähe des Dionysos zur Erotik (65)
müßte im Hinblick auf Johannes besonders intensiv aufgearbeitet
werden. Schließlich spielen erotische Elemente am ehesten noch im
vierten Evangelium eine Rolle. Nur hier wird in einer für die damalige
Kultur provokativen Weise von der Liebe eines Mannes zu unver-
heirateten Frauen gesprochen: “Jesus aber liebte Martha ...†(Joh 11,5).
Nur hier spricht Jesus allein mit einer Frau an einer Quelle; hier salbt
eine Frau, wie die Geliebte ihrem Liebhaber in einem antiken
Liebesroman, Jesus die Füße und trocknet sie mit ihrem gelösten
Haar (66); nur hier verbietet Jesus einer Frau, ihn in ihrer Wiederse-
hensfreude zu umarmen (67).
Dionysos ist ein Gott der Polaritäten und der Grenzüber-
schreitungen und Vermischungen der Gegensätze nicht nur von
göttlich und menschlich, sondern auch von Tier und Mensch (68),
Leiden und Lust, Opferobjekt und Opfersubjekt, Stadt und Wildnis,
Mann und Frau (69). Die Welt des Dionysos ist vor allem eine Welt der
Frauen (70). Frauen erzogen ihn, waren die ersten, die in sein Gefolge
eintraten und von seiner Raserei ergriffen wurden, die ihm Schutz
(65) Bis heute bleibt es umstritten, wieviel Dionysos mit sexueller Liebe zu
tun hat. Obwohl in seinem Umfeld, sowohl in der Mythologie als auch in der
Kunst, Sexualität eine große Rolle spielt und der Phallus eines seiner wichtigen
Symbole ist, steht er meist dem sexuellen Geschehen unberührt gegenüber. Für
eine sehr beschränkte Rolle der Sexualität spricht sich z. B. M. JAMESON, “The
Asexuality of Dionysusâ€, Masks of Dionysus, 44-64 aus. So schreibt er zur
kultischen Verwendung des Phallus: ... “rather supports our contention that in the
cults of Dionysus the phallus is left to men†(S. 59). Doch auf dem bacchantischen
Freskenzyklus in der villa dei misteri bei Pompeji wird der Phallus von einer Frau
enthüllt. Im Bacchanalienskandal spielt die Sexualität eine große Rolle (Livius,
39.13.10-11). In Euripides, Ion 550-552 gilt der jugendliche Held als Frucht einer
nächtlichen Bacchusfeier.
(66) Dies ist mit Jer 25,10 LXX im Hintergrund eine Anspielung auf die
Hochzeitsthematik; so S. VAN TILBORG, Imaginative Love in John (Biblical
Interpretation Series 2; Leiden 1993) 196.
(67) VAN TILBORG, Imaginative Love, 170-173.
(68) Die Satyrn sind solche “Übergangswesen†zwischen Mensch und Tier;
dazu F. LISSARRAGUE, “On the Wildness of Satyrsâ€, Masks of Dionysus, 207-220.
(69) W.F. OTTO, Dionysos. Mythos und Kultus (Frankfurt a. M. 1933) 113;
dazu A. HENRICHS, “’He Has a God in Him’. Human and Divine in the Modern
Perception of Dionysusâ€, Masks of Dionysus, 29-43. Dionysos Protrygaios ist der
Gott von unreif und reif, s. R. KANY, “Dionysos Protrygaios: pagane und
christliche Spuren eines antiken Weinfeistesâ€, JAC 31 (1988) 17.
(70) J.T. SANDERS, “Dionysus, Cybele and the ‘madness’ of womenâ€, Beyond
Androcentrism (Hrsg. R.M. GROSS) (Missoula 1977) 125-137. Im Kult des
Dionysos konnte ein ritueller Geschlechterantagonismus ausagiert werden.