Peter Wick, «Jesus gegen Dionysos? Ein Beitrag zur Kontextualisierung des Johannesevangeliums», Vol. 85 (2004) 179-198
The author of the article intends to show, that not just the episode of the "miracle at Cana" (John 2,1-11), but the gospel of John as a whole disputes in an implicit way the worship of Dionysos, which was wide-spread in Syria and Palestine. Jesus is presented as the true son of god, who surpasses the god Dionysos in every way. John represents the old Jewish tradition of disputing the worship of Dionysos. This dispute implies the rejection as well as the surpassing adoption of Dionysian elements. The author of the gospel strengthens the identity of his communities, which are confronted by the Hellenistic world, by arguing as a scripture-rooted Jew within the symbolic world of the Hellenistic mainstream.
Jesus gegen Dionysos? 197
Effeminierung in der bildlichen Darstellung des Dionysos (74). Auch
die aktiven Frauen des vierten Evangeliums überschreiten die ihnen
gerade durch die herrschende Oikosideologie zugewiesene Geschlech-
terrolle wiederholt, indem sie im Hinblick auf diese Rolle viel zu frei
handeln, zu unabhängig von Männern und zugleich zu offen
gegenüber diesen sind. Die Samariterin übernimmt aufgrund der
Begegnung mit Jesus eine männlich konnotierte Rolle und verkündigt
in publico in ihrer Stadt den Christus. Damit wird sie früher als die
Jünger zur ersten Volksmissionarin (Joh 4). Im Verlauf des Gesprächs
wird Jesus vom Mann, der eine Frau für sich Wasser schöpfen läßt, zu
demjenigen, der dasselbe — im Tausch der Rollen — einer Frau
anbietet. Maria Magdalena erhält durch die Begegnung mit Jesus
wenigstens temporär eine Vorrangstellung vor den Jüngern, denen
gegenüber sie als Auferstehungs- und Bundesverkündigerin (ajggevl-
lousa) vorangehen soll (Joh 20,17-19) (75).
Sicher, Frauen spielen im Gefolge Jesu nicht dieselbe Rolle wie
die Mänaden in der Gefolgschaft des Dionysos. Dennoch ist es
weiterer Untersuchungen wert, daß sie ausgerechnet in diesem in
Auseinandersetzung mit dem Dionysoskult stehenden Evangelium
besonders unabhängige, einflußreiche und auch öffentliche Rollen
spielen. In diesem Zusammenhang müssen auch die Effeminie-
rungstendenzen in der Darstellung des Lieblingsjüngers näher
untersucht werden.
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Quellenlage, Numismatik und archäologische Befunde sprechen
eine eindeutige Sprache für die Bedeutung des Dionysos in Palästina
und Syrien während vieler Jahrhunderte vor und nach Christus. Es ist an
der Zeit, unter Rezeption der vielen Arbeiten, die schon geleistet
wurden, diesen historischen Hintergrund interdisziplinär zu
rekonstruieren. Jüdische und christliche Identität entwickelte sich in
jener Zeit maßgeblich im Raum der dominanten hellenistischen Kultur.
Juden und Christen konnten als Minderheiten ihre Identität nur
repräsentieren, indem sie sich innerhalb der vom mainstream des
(74) Dazu ausführlich Th.H. CARPENTER, “On the Beardless Dionysusâ€, Masks
of Dionysus, 185-206.
(75) So VAN TILBORG, Imaginative Love, 171-208 mit überzeugender
Argumentation.