Hermann-Josef Stipp, «Zwei alte Jeremia-Erzählungen: Jeremia 28 und 36. Fallstudien zum Ursprung der Jeremia-Erzähltradition», Vol. 96 (2015) 321-350
Jeremiah 28* and 36* bear signs of having been composed during the prophet's lifetime. These stories depict incidents that had the potential to severely damage the prophet's reputation among the Judean public: clashes with powerful opponents from which Jeremiah seemed to have emerged as the losing party. These early narratives served apologetic ends, providing Jeremiah's followers with an account of the incidents that stressed YHWH's support for his true prophet. The investigation confirms the theory that conflict on a broad variety of topics played a significant role in stimulating the growth of prophetic literature.
		
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               musste. Dagegen gilt für die masoretische Datierung im 9. Monat
               des 5. Jahres Jojakims (November/Dezember 604): Laut der baby-
               lonischen Chronik ließ Nebukadnezzar exakt im selben Monat,
               nämlich im “ersten Jahr Nebukadnezzars” (II., = 604/3) “im Monat
               Kislev” (= 9. Monat) die aufständische Philisterstadt Aschkelon
               niederbrennen 42, nur wenige Tagesmärsche von Jerusalem entfernt.
               Die babylonische Strafaktion vor der judäischen Haustür liefert ein
               natürliches Motiv für den von Baruch zum öffentlichen Vortrag genutz-
               ten Fasttag (6b2.9b). Die Bittliturgien erklären sich aus dem Entsetzen,
               das damals die Judäer gepackt haben muss: Hannibal ante portas!
               Die masoretische Variante ist somit die weitaus plausiblere Lesart,
               während AlT auf eine Verschreibung zurückgeht 43.
                   Anders jedoch als die Schlacht von Karkemisch hat sich die ba-
               bylonische Verwüstung Aschkelons dem kollektiven Gedächtnis
                   42
                      D.J. WISEMAN, Chronicles of Chaldaean Kings (626-556 B. C.) in the
               British Museum (London 1956) 28; A.K. GRAYSON, Assyrian and Babylonian
               Chronicles (Texts from Cuneiform Sources 5) (Locust Valley, NY 1975) 100,
               Z. 18-20; HTAT 416; vgl. W.L. HOLLADAY, Jeremiah 2. A Commentary on
               the Book of the Prophet Jeremiah Chapters 26–52 (Hermeneia) (Minneapolis,
               MN 1989) 256. Zur Interpretation der archäologischen Befunde vgl. L.E.
               STAGER, “Ashkelon and the Archaeology of Destruction: Kislev 604 B.C.E.”,
               EI 25 (1996) 61*-74*; ID., “The Fury of Babylon. Ashkelon and the Archaeology
               of Destruction”, BAR 22 (1996) 56-69, 76-77; A. FANTALKIN, “Why Did Nebuchad-
               nezzar II Destroy Ashkelon in Kislev 604 B.C.E.?” The Fire Signals of
               Lachish. Studies in the Archaeology and History of Israel in the Late Bronze
               Age, Iron Age, and Persian Period in Honor of David Ussishkin (eds. I. FINKEL-
               STEIN – N. NA’AMAN) (Winona Lake, IN 2011) 87-112.
                   43
                      Zusätzlich lässt AlT die vierfache Frist verstreichen, bevor Baruch Jere-
               mias Auftrag zur Rezitation der Schriftrolle (VV. 5-7) befolgt. Der schwer
               glaubhafte Verzug ergibt jedoch kein Argument gegen die alexandrinische
               Lesart, weil er ebenso eine Korrektur im masoretischen Textüberlieferungs-
               strang veranlasst haben kann. – Mit der Präferenz für die masoretische Jah-
               resangabe in 9a korrigiere ich mein früheres Urteil in: Parteienstreit, 90, wo
               ich noch den Argumenten für die alexandrinische Priorität gefolgt war, wie
               vorgetragen von N. LOHFINK, “Die Gattung der »Historischen Kurzge-
               schichte« in den letzten Jahren von Juda und in der Zeit des Babylonischen
               Exils”, ZAW 90 (1978) 319-347, 324-328 = Studien zum Deuteronomium und
               zur deuteronomistischen Literatur II (SBA.AT 12; Stuttgart 1991) 55-86, 61-65;
               HOLLADAY, Jeremiah 2, 255-256. Hier habe ich mich mittlerweile von K. SCHMID,
               Nebukadnezars Antritt der Weltherrschaft, 234-235, überzeugen lassen, dass
               die Lesart mit dem Bezug auf die Zerstörung Aschkelons die höhere Plausibilität
               besitzt — freilich mit ganz anderen literargeschichtlichen Konsequenzen als
               bei Schmid; vgl. dazu oben Anm. 40 und unten Anm. 46.