Nils Neumann, «Bewegungen im Dreieck: Heil als Begegnung im erzählten Raum des lukanischen Sonderguts.», Vol. 97 (2016) 375-394
The Lukan Sondergut develops its soteriology by narrating encounters inside a triangular spatial structure. Several important pericopae make use of a recurring scheme: salvation takes place in the encounter between the sinner and Jesus/God. The Pharisees who distance themselves therefrom are called upon to learn a lesson from the sinners and to share in the joy that results from the return of the lost one.
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Sehr explizit schließt auch die zachäus-Episode mit einem sote-
riologischen Akzent. Nachdem die Murrenden innerlich darüber auf-
gebracht sind, dass Jesus bei einem Sünder zu Gast ist (19,7), und der
zöllner seine Absicht geäußert hat, Almosen zu geben und zu unrecht
eingenommene Gebühren zurückzuerstatten (V. 8), konstatiert Jesus:
sh,meron swthri,a tw/| oi;kw| tou,tw| evge,neto und begründet dies mit dem
hinweis auf die Abrahams-Kindschaft des zöllners (V. 9). Auch im
Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus tritt Abraham am
Ende ganz konkret als Anwalt des Armen auf (Lk 16,22-31), der in-
nerhalb des dramatischen Dreiecks den Part der Figur b bekleidet. Ab-
geschlossen wird die zachäus-Szene erneut durch ein pointiertes
Schlusswort, das sich als lukanische umformulierung von Mk 10,45
begreifen lässt: Der Menschensohn ist gekommen, das Verlorene zu
suchen und zu retten (V. 10). hier zeigt sich, wie nahe sich die soterio-
logischen Gedanken von der Errettung und vom Finden des Verlorenen
nach lukanischer Logik stehen. Während die Schlussworte nach der
begegnung Jesu mit der Sünderin und mit dem einen Geheilten die ret-
tende bedeutung des Glaubens ansprechen (7,50; 17,19) und die Pointe
des Gleichnisses vom verlorenen Sohn die Freude über das Finden des
Verlorenen ausdrückt bzw. einfordert (15,24.32), verbinden sich beide
Motive in Lk 19,10 zu einer Gesamtheit. Die lukanischen Aussagen
vom Finden des Verlorenen und von der rettung durch Glauben inter-
pretieren sich dabei wechselseitig. Kohärent zu diesem Komplex lu-
kanischer Soteriologie verhält sich auch der Schlusssatz aus dem
Gleichnis vom Pharisäer und zöllner, der oben wegen der fehlenden
Stichwortverbindung unerwähnt geblieben ist: Selbsterniedrigung im
Sinne einer demütigen Anerkenntnis der eigenen Sünde und Verge-
bungsbedürftigkeit sieht das Lukasevangelium auch andernorts als eine
wünschenswerte haltung des „Verlorenen“ an, die letztlich dazu führt,
dass das Verlorene gefunden werden kann (vgl. insbes. Lk 15,17-19).
iV. Die Selbst-Distanzierung der Pharisäer
Damit üben offenkundig die Figuren an den Eckpunkten A und b
des dramatischen Dreiecks eine veritable Anziehungskraft aufeinander
aus. indessen stoßen sich die Figuren b und c gegenseitig ab. Genauer:
Figur c fühlt sich von b abgestoßen. infolge der Annäherung zwischen
A und b kommt es zu einer primär innerlichen Selbst-Distanzierung
geschlossen werden. beobachtungen zur Struktur des Gleichnisses vom Pharisäer
und zöllner Lk 18,10-14a“, BZ.NF 24 (1980) 42-56, pass.