Nils Neumann, «Bewegungen im Dreieck: Heil als Begegnung im erzählten Raum des lukanischen Sonderguts.», Vol. 97 (2016) 375-394
The Lukan Sondergut develops its soteriology by narrating encounters inside a triangular spatial structure. Several important pericopae make use of a recurring scheme: salvation takes place in the encounter between the sinner and Jesus/God. The Pharisees who distance themselves therefrom are called upon to learn a lesson from the sinners and to share in the joy that results from the return of the lost one.
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platziert 61, macht vollends deutlich, dass die Grundhaltung als muster-
gültig präsentiert werden soll, die sich im Gebet des zöllners artikuliert.
Dagegen sieht der text die Grundhaltung des Pharisäers kritisch. Seine
haltung lässt sich durchaus mit der des älteren bruders von Lukas 15
vergleichen 62.
Mit dieser expliziten Kritik am Verhalten der Pharisäer wird in den
texten des lukanischen Sonderguts zugleich auch die Weltsicht infrage
gestellt, für die sie stehen. Die Figuren am Eckpunkt c des dramati-
schen Dreiecks dringen auf die Einhaltung einer räumlichen Distanz
zwischen Sündern und „Frommen“. Wo sich eine räumliche begeg-
nung zwischen A und b ereignet, verspüren sie die Verletzung einer
Norm durch die beobachtete Grenzüberschreitung. indem die lukani-
schen texte nun aber die Pharisäer gegen die Sünder kontrastieren und
dabei durchweg das Verhalten der ersteren negativ, das Verhalten der
letzteren hingegen positiv bewerten, treten sie unterschwellig auch für
die Gewinnung neuer räumlicher Maßstäbe ein 63. Nach der Sichtweise
des lukanischen Jesus ist die begegnung Gottes bzw. Jesu mit „Sün-
dern“ gerade nicht Ausdruck einer Normen-Verletzung, sondern sie ge-
hört zum theologischen Programm: „Der Menschensohn ist gekommen,
um das Verlorene zu suchen und zu retten“ (Lk 19,10).
V. Die raumthematik im lukanischen Sondergut
zunächst ist festzuhalten, dass die besprochenen textabschnitte
nicht sklavisch ein starres handlungsschema reproduzieren. An vielen
Stellen finden sich Abweichungen von den oben dargestellten regel-
mäßigkeiten, und nicht jede der fünf Szenen weist alle Eigenschaften
auf, die oben schematisch vorgestellt wurden. Dennoch ist es gerecht-
fertigt, wegen der ausgeprägten narrativen Parallelen eine planvolle
Gestaltung durch den Erzähler anzunehmen. Die fünf untersuchten lu-
kanischen texte variieren ein Schema, dessen Grundgerüst sich fol-
gendermaßen umreißen lässt: Jesus/Gott (A), ein zöllner/Sünder (b)
und ein Pharisäer (c) geben die wesentlichen handlungsträger der Er-
zählung ab. Nachdem ursprünglich ein räumlicher Abstand zwischen
den Figuren A und b bestand, kommt es nun aber zu einer räumlichen
61
zuvor hat er es allerdings auch schon einmal in 14,11 eingesetzt. Vgl. dazu
bOVON, Evangelium iii, 215.
62
Vgl. WOLtEr, Lukasevangelium, 593.
63
Allgemein zu diesem Phänomen in literarischen texten vgl. auch LOtMAN,
Struktur, 328.