Edgar Kellenberger, «Gottes Doppelrolle in Ijob 16», Vol. 90 (2009) 224-236
Job’s excessive plaint against his aggressive and hostile God is intertwined with his surprising confession of confidence (“Bekenntnis der Zuversicht”). It seems to be a special relationship between these two poles which are forming quasi two focuses of an ellipse. This article studies in ch. 16 (and 19) each pole and especially their interrelation in contrast to mitigating tendences in the ancient versions and the rabbinic exegesis. The mythic language of Job’s lament is compared with similar accadian literature for demonstrating both analogies and important differences. The author of the Book of Job uses especially the language of the mythic struggle against chaos (“Chaoskampf”) for his peculiar view of the dialectics in God.
Gottes Doppelrolle in Ijob 16 225
nicht auf den ersten Blick einsichtig ist, sind sozusagen als zwei
Brennpunkte einer Ellipse zu betrachten (2).
1. Ijobs Klage (VV. 7-14) als erster Brennpunkt
Während die Klage sich zu Beginn eher noch innerhalb des für
diese Gattung gewohnten Rahmens bewegt, so steigert sich deren
Exzessivität ab V. 9 deutlich. Ijobs Formulierungen über Gottes
aggressives Tun soll hier im Einzelnen betrachtet und mit anderen
Äusserungen aus Israel und dem alten Orient verglichen werden.
a) “Sein Zorn hat (mich) zerrissen†(V. 9): Die Wurzel πrf bezieht
sich an fast allen Stellen auf die Aktivität eines Raubtiers (3).
Zuweilen ist auch JHWH Subjekt solchen Zerreissens; so erscheint
er etwa bei Hosea als raubgieriger Löwe (4).
b) Das angefangene Kolon endet mit “und befeindete michâ€: Das
vorangegangene Subjekt “(Gottes) Zorn†scheint für “befeindenâ€
schlecht zu passen. Gleichwohl ist hier — in nächster Analogie zu
μfc in Ijobs Abschlussrede 30,21 — Gott als Handelnder
anzunehmen (5), da innerhalb desselben Kolons kein Wechsel zu
einem menschlichen Subjekt denkbar ist.
c) “Er (mein Feind?) knirschte mit den Zähnen gegen michâ€:
Wiederum stellt sich die Frage nach dem Subjekt. yrx “mein Feindâ€
steht in Pivot-Stellung, d.h. in der Mitte zwischen dem zweiten und
dritten Kolon von V. 9, und ist daher auf beide Kola zu beziehen.
Im Weitern stellt sich die Frage, ob dieser Feind Gott oder ein
Mensch ist (6). Das Verbum qrj “knirschen, (die Zähne) fletschenâ€
(2) Von der Spannung zwischen zwei Polen redete bereits C. WESTERMANN,
Der Aufbau des Buches Hiob (CThM.BW 6; Stuttgart 31978) 68. Neulich wieder
S. BALENTINE, Job (Smyth & Helwis Bible Commentary; Macon, GA 2006) 264.
(3) πrf mit Erwähnung eines Raubtiers: Gen 37,33; 44,28; 49,9.27; Ex 22,12;
Num 23,24; Jes 5,29; 31,4; Jer 5,6; Ez 19,3.6; 22,25.27; Am 3,4; Mi 5,7; Nah 2,13;
Ps 7,3; 17,12; 22,14; 104,21; Ijob 4,11; 38,39. — πrf mit “Zorn†als Subjekt: Ijob
16,9; 18,4 (Ijobs Zorn); Dtn 33,20 (Gad ist wie ein Löwe); Am 1,11 (Edom).
(4) Hos 5,14; 6,1. Ferner ohne formulierten Tiervergleich Ps 50,22. Ohne πrf
vgl. Klgl 3,10-11. JHWH erscheint auch sonst zuweilen mit Aktivitäten eines
Löwen (Ijob 10,16; 38.39): er “brüllt†vom Zion (vgl. z.B. Am 1,2; Hos 11,10)
oder kommt aus dem Dickicht (Jer 25,38; Ps 76,3). Analog werden
mesopotamische Gottheiten und Dämonen als wilde Löwen bezeichnet und
geschildert (Belege in CAD N 195 und L 24-25).
(5) Ijob 30,21: “Du wandelst dich mir zum Grausamen; mit gewaltiger Hand
befeindest du michâ€. Menschen sind Subjekt von μfc in Gen 27,41; 49,23; 50,15;
Ps 55,4 (“im Zornâ€).
(6) Zu Gott als Feind vgl. noch Jes 63,10; Jer 30,14; Klgl 2,4-5.