Carsten Ziegert, «Das Buch Ruth in der Septuaginta als Modell für eine integrative Übersetzungstechnik», Vol. 89 (2008) 221-251
The Greek version of Ruth is, generally speaking, a literal translation. Even the style of the Hebrew original has been replicated as the translation brings out various Semitic archaisms. The quality of style, poor from a Greek point of
view, aims at reproducing a special Hebrew local colour. This special style is avoided, however, if intelligibility is at stake. In that case, the translator reverts to a communicative translation technique. Hence, the Greek version of Ruth
integrates elements of a communicative translation into an otherwise literal translation. Considering the findings of functional translation theory, this apparent caprice should be seen as a focused and innovative translation technique which
might be described as 'integrative'.
Das Buch Ruth in der Septuaginta als Modell
für eine integrative Übersetzungstechnik
In dieser Studie werden neuere Erkenntnisse der Ãœbersetzungs-
wissenschaft für die Septuagintaforschung fruchtbar gemacht. Dazu
bedienen wir uns der von K. Reiß und H.J. Vermeer dargestellten
Skopostheorie, die besagt, dass der Zweck einer Ãœbersetzung alle
Entscheidungen im Verlauf des Ãœbersetzungsprozesses bestimmt (1).
Sprachliche Beobachtungen am griechischen Text des Buches Ruth
werden im Rahmen dieser Theorie ausgewertet. Dazu werden
linguistische Phänomene nicht nur auf Wort- und Satz-, sondern auch
auf Textebene untersucht, wobei alle Beobachtungen unter dem
Blickwinkel der linguistischen Pragmatik ausgewertet werden. Damit
wird der Schwerpunkt von der reinen Beschreibung der Phänomene
auf die Deutung ihrer Funktion im Kommunikationsgeschehen
verlagert. Aus diesen Beobachtungen und ihren Deutungen ergeben
sich unter Anwendung der Skopostheorie Rückschlüsse auf die
Intention des Übersetzers und somit auf den “Sitz im Leben†der
Ãœbersetzung.
In der Ãœbersetzungswissenschaft ist seit einigen Jahrzehnten ein
Perspektivenwandel zu beobachten (2). Während man sich zunächst auf
die Wort- und Satzstrukturen von Ausgangs- und Zielsprache
konzentrierte, verlagerte sich das Interesse ab den sechziger Jahren des
letzten Jahrhunderts auf Fragen der Textlinguistik und der Pragmatik
(z.B. E.A. Nida). Die in den achtziger Jahren von Reiß und Vermeer
entwickelte Skopostheorie versteht sich als “funktionale Transla-
tionstheorie†und nimmt den Übersetzungsprozess als zweckgerichtete
Handlung in den Fokus. Ein funktionaler Ansatz wird heute nicht nur
von vielen Ãœbersetzungswissenschaftlern vertreten, sondern erfreut
sich auch in der Übersetzerausbildung großer Beliebtheit (3).
(1) K. REIß, Grundfragen der Übersetzungswissenschaft. Wiener Vorlesungen
(WUV Studienbücher Geisteswissenschaften 1; Wien 22000) 35. Die Theorie
wird ausführlich dargestellt bei: K. REIß – H.J. VERMEER, Grundlegung einer
allgemeinen Translationstheorie (Linguistische Arbeiten 147; Tübingen 1984).
(2) Zu der folgenden ganz knappen Ãœbersicht siehe: R. STOLZE, Ãœber-
setzungstheorien. Eine Einführung (Tübingen 42005) 11.
(3) P. KUßMAUL, Kreatives Übersetzen (Studien zur Translation 10; Tübingen
2000) 36.