Martti Nissinen, «Die Liebe von David und Jonatan als Frage der modernen Exegese», Vol. 80 (1999) 250-263
In the recent debate concerning the relationship of David and Jonathan as described in 1 Sam 1820 and 2 Sam 1 the main issue has been whether or not the love between these male persons should be characterized as "homosexual". Since the concept of homosexuality is not inherent in the biblical text but rather reflects the modern interpretation of gender, its use has been justly questioned. It is argued in this article that neither the story of David and Jonathan nor such texts as Gen 19,1-11, Judg 19 and Lev 18,22 and 20,13 can be interpreted as reflecting an overall concept of homosexuality. The relationship of David and Jonathan may be understood as a socially acceptable male bonding between equals, in which mutual love and affection is depicted with some homoerotic traits but in which the differentiation of active and passive, i.e. male and female sexual roles plays no role. The biblical text does not disclose homosexual orientation, thus it is up to the modern reader to decide to what extent the relationship of David and Jonathan corresponds to what is today called homosexuality.
dieser Regelung her beurteilt. Die Dichotomie von Homo- bzw. Heterosexualität ist hier nicht entscheidend, sondern die akzeptabel Rollenstruktur und entsprechendes Verhalten.
Auch in der modernen Welt geschieht die Interpretation des gleichgeschlechtlichen Aspekts in den David-Jonatan-Szenen keineswegs in einem ideologiefreien Raum, unabhängig von den gesellschaftlichen Bewertungen verschiedener Aspekte der Sexualkultur. Demgemäß scheint die moderne Auslegung dieser Szenen bewußt oder unbewußt von der Frage auszugehen, ob und inwieweit das Verhältnis von David und Jonatan als Beweis einer positiven Einschätzung der Homosexualität in der Bibel gelten kann49. Die Frage ist keineswegs unmotiviert, ist es doch die eventuelle Anwendbarkeit der David-Jonatan-Szenen für die Suche von heutigen Homosexuellen nach einer positiven Identifizierungsmöglichkeit in der Bibel und in ihrer Auslegung, die die Diskussion hervorgerufen hat. Diese Tatsache vereitelt das Gespräch nicht, wenn wir davon ausgehen, daß die einschlägigen Bibelstellen nicht nur in kirchlich-theologischen Zusammen-hängen, aber auch auf politischen Bühnen interpretiert werden und somit nach wie vor auf die Lebensverhältnisse der in jüdisch-christlichen Kulturen lebenden Menschen einwirken. Dies stellt auch an die wissenschaftliche Arbeit an der Bibel einen Verantwortungsanspruch, es sei denn, daß die Diskussion schwerlich auf ein auf Neutralität strebendes gelehrtes Gespräch zwischen Fachexegeten beschränkt werden kann oder soll.
V
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß in der literarischen Welt der Aufstiegsgeschichte Davids
1) David und Jonatan einander lieben, daß sie also in einer innigen und gegenseitigen Freundschaft verbunden sind, die auch mit manchen erotisch gefärbten Ausdrücken dargestellt ist und in diesem Sinne als homoerotisch bezeichnet werden kann; daß
2) die Erzählung nicht darauf hinweist, daß David und Jonatan beieinander "wie bei einer Frau" liegen, also der eine den anderen sexuell in die Frauenrolle drängt, daß aber im Gegenteil ihre Beziehung als eine zwischen ebenbürtigen Partnern ohne die zu Sexualverhältnissen gehörende Rollenverteilung in die aktive und passive zu interpretieren ist; daß
3) die die Frauenliebe überbietende gegenseitige Liebe der zwei Männer ein mit dem Verhältnis von Gilgames$ und Enkidu sowie mit dem von Achilleus und Patroklos vergleichbaren Beispiel einer "male bonding", eines Männerbunds oder der Homosoziabilität, darstellt; und daß
4) die von moderner Kategorisierung ausgehende Verwendung des Begriffs Homosexualität grundsätzlich irreführt, die aber als fester Bestandteil der Begrifflichkeit der modernen Leser/innen der Bibel zugleich den Ansatzpunkt der exegetischen Diskussion gebildet hat.
Somit haben wir uns nicht mit einem historisch-literarischen, sondern mit einem hermeneutischen Problem befaßt, bei deren Behandlung nicht