Rainer Schwindt, «Mehr Wurzel als Stamm und Krone. Zur Bildrede vom
Ölbaum in Röm 11,16-24», Vol. 88 (2007) 64-91
Exegesis and theology hope to gain important insights and fresh impetus for the Christian-Jewish dialogue from the metaphoric speech of Paul about the olive tree. The strong mutual penetration of figurativness and interpretation as well as their primary paraenetic character imply however a varied semantics. The electing and promising word of God is the primary and decisive parameter of reference in the interpretation of the metaphoric structure. The interpretation of the individual image-elements as persons has to derive of it secundary. Their assignment is determined by the peculiar morphology of the olive tree. A look at growth and figure of the olive tree shows, that its roots, beeing nearly as strong as the trunk, can hardly be distinguished from it. Therefore a reference of the tree to Christ can be excluded. The traditional interpretation of the root as Abraham (or rather the patriarchs) and of the olive tree as Israel have the greatest plausibility on the secundary level. Both, Abraham and Israel, represent the electing and promising
Logos of God. The faith-motive and further contextual indications give this theological basic dynamics a christological component too. The faith in Christ puts under the promising word of God. Pagans and jews will take part on the olive tree of life, which is nourished on the promising of God, the faith of the patriarchs and the gospel of Christ.
Mehr Wurzel als Stamm und Krone.
Zur Bildrede vom Ölbaum in Röm 11,16-24
Die paulinischen Aussagen zu Israel in Röm 9–11 werden im
christlich-jüdischen Dialog immer wieder herangezogen. Die damit
einhergehenden fachexegetischen Bemühungen um diesen Spitzentext
paulinischer Theologie hat zu einer kaum mehr überschaubaren Fülle
von Beiträgen geführt. In vielen Fragen ist die Forschung von einem
Konsens jedoch weit entfernt. Dies gilt insbesondere für die
hermeneutisch meist hoch eingestufte Rede vom Ölbaum, die in ihrer
Bildlichkeit eine Vielzahl von Lesarten zulässt. In der für die
Verhältnisbestimmung von Kirche und Israel entscheidenden Passage
des Konzilsdokuments Nostra Aetate Nr. 4 üben daher die Theologen
des Zweiten Vatikanums eine auffallende Zurückhaltung bei der
Deutung des Ölbaums:
Deshalb kann die Kirche auch nicht vergessen, daß sie durch jenes
Volk, mit dem Gott aus unsagbarem Erbarmen den Alten Bund
geschlossen hat, die Offenbarung des Alten Testaments empfing und
genährt wird von der Wurzel des guten Ölbaums, in den die Heiden als
wilde Schößlinge eingepfropft sind. Denn die Kirche glaubt, daß
Christus, unser Friede, Juden und Heiden durch das Kreuz und beide
in sich vereinigt hat (1).
Die Konzilsväter lassen damit offen, wer mit “der Wurzel des
guten Ölbaums†und dem Ölbaum selbst gemeint ist. Bestimmter
dagegen äußern sich die Exegeten. So stellt etwa H. Frankemölle fest,
dass die “zahlreichen offiziellen und offiziösen Verlautbarungen aller
Kirchen ... durch den Rückgriff auf Röm 9–11, wonach die Christen
aus den Völkern als wilde Schößlinge in Israel als edlen Ölbaum
eingepfropft wurden (vgl. Röm 11,16-24) ..., die schwierige
hermeneutische Frage faktisch geklärt†(2) hätten. Mit seiner
Festlegung des Ölbaums auf Israel folgt er der exegetischen
Mehrheitsmeinung. Auch M. Theobald hält knapp und bestimmt fest:
“Diese Mahnrede [sc. Röm 11,17-24] arbeitet mit festen Metaphern:
(1) Zitiert nach LThK, 2. Aufl., Das Zweite Vatikanische Konzil.
Kommentare, Teil II, 493.
(2) H. FRANKEMÖLLE, “Jüdisch-christlicher Dialog. Interreligiöse und
innerchristliche Aspekteâ€, Catholica 46 (1992) 135.